APPELT: Wir haben uns vorhin unten auf der Bühne das Setting des aktuellen Stückes angesehen. In dem Besprechungszimmer, das dort aufgebaut ist, findet die gesamte Handlung statt. Dein Beleuchtungskonzept sieht vor, dass sich das Licht ähnlich dem Bühnensetting die ganze Zeit über nicht ändert. Es wechselt lediglich vom warmen Weißton in einen kälteren und dann wieder zurück zum warmen. Diese dezente Veränderung geschieht für den Zuschauer fast unmerklich innerhalb von eineinhalb Stunden Aufführungszeit. Was für ein Gedanke steckt hinter so einem zurückhaltenden Beleuchtungskonzept?


RÖSSLER: Im Theater sieht man oft schnelle Wechsel beim Licht. Vielleicht hat das mit dem Filmschnitt, mit unseren heutigen Sehgewohnheiten zu tun. Im Film gibt es sehr schnelle Wechsel, sehr schnelle Schnitte. Da passt sich das Theater mit dem Licht am meisten an, weil das Licht im Theater die Schnitttechnik des Films ersetzt. Das Licht auf der Bühne schafft den unterschiedlichen Blickwinkel. Beim Film macht das die Kamera mit verschiedenen Einstellungen. Auf der Bühne, mit immer der gleichen Blickrichtung des Zuschauers, veränderst du den Fokus mit dem Auge, also wo du hinschaust. Mit Licht kann ich das steuern – die Schnitttechnik setzen und den Rhythmus in ein Stück hineinbringen. Das wird sehr oft sehr schnell gemacht, so dass manche Leute sagen: „Beleuchter sind Licht-Ein- und Ausschalter.“ Ganz übertrieben wird es in der Ästhetik bei Videoclips von Rockkonzerten angewendet. Man geht ja aufs Medium zu, man bebildert immer einen Inhalt. Wenn ich einen Popsong habe, der nur ein paar Minuten dauert, mit einer Strophe und einem Refrain, dann ist das die Vorgabe. Das Stück ist kurz, also habe ich auch schnelle Wechsel. Wenn ich jetzt aber ein Sprechtheaterstück habe, dann ist es schwierig, über einen zwei Stunden gesprochenen Text eine Konzentration zu halten. Das Licht kann da helfen. Es ist interessant, einen ganz langsamen Verlauf zu machen, bei dem man als Zuschauer gar nicht mitbekommt, dass was anders ist, es aber irgendwo schon spürt. Übers Auge kann man ermüden, übers Auge kann man aber auch wachhalten und zwar auch die Konzentration auf einen schwierigen, langen Text. Wenn ich den Trick anwende, dass ich mit dem Licht über eineinhalb Stunden eine wahrnehmbare, aber nicht sofort optisch wahrnehmbare Veränderung mache, bleiben die Zuschauer eher dran. Ein immer gleich bleibendes Licht ist ungleich anstrengender für den Zuschauer. Ich schaue mir als neutraler Beobachter im Idealfall fünf bis sechs Komplettdurchläufe an, um zu sehen, ob es funktioniert. Meiner Meinung nach funktioniert das beim aktuellen Stück eben durch diesen langsamen Prozess. Wenn ich die ganze Zeit Bilder wechseln würde, obwohl das Stück das vom Thema überhaupt nicht hergibt, dann fragst du dich als Zuschauer „spielt sich da das Licht in den Vordergrund oder hat man kein Vertrauen in den Text?“ Mit dem langsamen Wechsel aber funktioniert es gut. Ein normaler Zuschauer würde nicht merken, woran es liegt, und darum geht es.


APPELT: Arbeiten viele Bühnenbeleuchter in dieser subtilen Art und Weise?


RÖSSLER: Ja, gute schon, viele. Oft kennt man sie gar nicht. Mit einem krassen Wechsel kannst du sofort einen Effekt erzielen und jeder schaut drauf und sagt: „Ah, und toll und schön.“ Das geht relativ leicht. Aber es gibt dann doch einige Beleuchter, die subtiler arbeiten. Ich beurteile Licht danach, dass ich sage: „Das ist jetzt subtil gewesen. Das habe ich gar nicht mal gemerkt!“


APPELT: Braucht es beim Theater für einen subtilen Umgang mit Licht mehr Erfahrung als für die Anwendung spektakulärer Beleuchtungseffekte?


RÖSSLER: Es hat mit Erfahrung zu tun. Ich glaube, es hat auch mit dem Gesamtmenschlichen zu tun – selber ruhiger werden oder Genuss dran haben. Je älter ich werde, desto eher kann ich mich einlassen. Aber ich würde es nicht am Alter festmachen. Es hat eher mit Sensibilität, mit Wahrnehmung, zu tun – wahrnehmen zu können, sehen zu lernen. Das muss man nämlich auch lernen, finde ich.


APPELT: Solche Lernprozesse sollten schon vom Kindesalter an gefördert werden. Mit guten Konzepten nämlich, so dass Kinder ein Gespür für sensible, auch herausfordernde Formen der Wahrnehmung entwickeln können. Im Zeitalter von Computer und virtuellen Welten verlieren die heutigen Kinder mehr und mehr den realen Bezug zur Umwelt. Also körperliche Erfahrungen und intuitives Wahrnehmen der Umgebung geht in der heutigen Gesellschaft tendenziell verloren. Meiner Meinung nach entsteht hier ein großes Manko, das Gefahren in sich birgt, denen man mit einer gezielten Schulung von Wahrnehmung gegensteuern kann.


RÖSSLER: Absolut, ich hab ja selber einen neunjährigen Sohn und ich halte das für extrem wichtig. Kinder sind sehr aufnahmebereit und lernfähig. Ich halte insgesamt eine ästhetisch-künstlerische Bildung für essenziell, schon von Kindheit an.


APPELT: Obwohl ich als Laie beim Theater eher an aufgesetzte, spektakuläre Beleuchtung denke, haben wir unser Gespräch sofort auf einen subtilen Umgang mit Licht gebracht, was mir natürlich sehr gut gefällt. Gibt es im Vergleich zu Leuten, die in anderen Berufen mit Licht arbeiten – wie zum Beispiel Architekturbeleuchtung oder Filmlicht – Unterschiede, die du klar erkennen kannst? Was ist beim Theater anders? Oder welche Kriterien kommen beim Theater zum Tragen, die man normalerweise nicht ansetzen würde?


RÖSSLER: Ich würde eher erst mal versuchen, die Gemeinsamkeiten zu finden. Auch eine Lichtästhetik im Theater unterliegt Moden. So wie Architekturlicht Moden unterliegt und man bis vor nicht allzu langer Zeit als schön empfunden hat, wenn eine Stadt die ganze Nacht durch beleuchtet ist. Inzwischen sagt man: „Das kann es ja wohl nicht sein!“ – Thema „Lichtverschmutzung in der Nacht“ oder Thema „Können die Leute überhaupt noch schlafen in den Häusern, die so hell angestrahlt sind?“ Beim Bühnenlicht gibt es auch so ein Abwägen zwischen dem Möglichen und dem Notwendigen. Doch der große Unterschied ist der, dass wir Illusionen herstellen – unabhängig vom Begriff „Illusionstheater“, der vom romantischen Theater, von der romantischen Oper besetzt ist. Wir stellen Illusionen her, weil wir erst mal einen möglichst leeren schwarzen Raum haben. Die Zuschauer werden in diesen Raum gelassen, dann mache ich ein Licht an und definiere damit den Raum und erzähle schon eine Geschichte. Wir Beleuchter gehen von Null aus, vom Schwarz. Philosophisch gesehen vom Weltall, vom dunklen Raum, und dann fangen wir an zu bauen. Das macht den Unterschied aus zu den verschiedenen anderen Bereichen oder auch zu anderen Kunstformen, die mit Licht arbeiten.


APPELT: Dass es eine Illusion ist?


RÖSSLER: Auch dass du unabhängiger bist von Faktoren wie Tag/Nacht oder wie Gebäude dastehen. Bei Gebäuden kann man nicht sagen: „Jetzt lass ich sie mal weg“. Das ist dem Theater immanent – du baust Tempel und am nächsten Tag reißt du sie wieder ein. Du bist viel kurzlebiger.


APPELT: Beim Filmsetting bewegt man sich immer irgendwo zwischen Tageslicht, Kunstlicht, drinnen, draußen, hell und dunkel. Im Theater ist man hauptsächlich drinnen. Im Normalfall ist es zuerst dunkel. Erst ist der Zuschauer in einem dunklen Raum, dann gibt es Licht und dann wird es aber auch wieder dunkel.


RÖSSLER: Bei uns ist die Dunkelheit quasi der Vorhangersatz. Den echten Vorhang haben wir seit drei Jahren nicht mehr benutzt. Erst jetzt wieder für die beiden Opern. Bei einer Oper erwartet man fast einen roten Vorhang. Aber im Endeffekt macht ja das Licht den Vorhang, ähnlich wie im Kino. Diesen Effekt hat das Kino vom Theater übernommen – erst mal dunkelt man ein. Oder schöne alte Filme, bei denen man sieht, okay, die Theater waren schon immer verdunkelt, da kam kein Tageslicht rein, da hat man halt Kerzen aufgestellt oder Talglichter, später dann Gaslichter. Aber der Moment, wenn die Luster auffahren, im Zuschauerbereich, da weiß der Zuschauer: „Jetzt geht es los.“ Auch ohne Vorhang.


APPELT: Kommt es auch vor, dass du direkt ins Publikum leuchtest, den Zuschauer mit einbindest?


RÖSSLER: Immer wieder mal. Das ist eine Entwicklung, die auch mit Moden zu tun hat. Vor zwanzig Jahren hätte man gesagt: „Diese Guckkastenbühne, da wollen wir gar nicht mehr spielen. Wir wollen einfach in undefiniertere Räume“, in eine Fabrikhalle oder sonst wo, um Theater zu machen. Weg von dieser Illusionstheaterbühne, von der Guckkastenbühne. Das heißt aber auch: Mehr rein in den Zuschauerraum spielen, mehr die Leute mitnehmen. Oder vor zehn Jahren wurde gesagt: „Video groß im Kommen. Wir brauchen gar keine Bühnenbilder mehr. Wir machen alles mit Videoprojektionen!“ Solche Moden werden dann ein Teil einer Ästhetik, ein Teil einer Sprache, einer Sprechfähigkeit. Die Zeit ist eigentlich vorbei, dass man im Zuschauerraum spielen muss, aber dennoch wird es als Mittel eingesetzt und zwar als deutliches Theaterzeichen, wenn z.B. zwei Protagonisten am Schluss über den Zuschauerraum abgehen und ich mach den Zuschauerraum hell. Das betrifft dann auch den Zuschauer. Plötzlich ist der Schauspieler neben ihm. Man sieht, das ist eine Person aus dem Leben. Das passiert natürlich eher im Sprechtheater. Sprechtheater will aktueller sein als Oper oder ist de facto aktueller oder hat den Zwang, aktuell zu sein. Heutzutage muss das nicht unbedingt so sein, sondern man benutzt es eher als Mittel. Wo man sagt, man zieht die Leute mit dem Licht mit rein. Das ist natürlich desillusionierend. Ein normaler Zuschauer möchte ja nicht beleuchtet werden.


APPELT: Um einen dunklen schwarzen Raum mit Licht definieren zu können, braucht es Reflexionsflächen, also Materialien mit bestimmten Reflexionseigenschaften. Womit das Bühnensetting, das Bühnenbild für den Beleuchter zum wichtigen Thema wird.


RÖSSLER: Absolut. Es braucht eine enge Zusammenarbeit zwischen Bühnenbild und Licht. Der Beruf des Lichtgestalters am Theater hat sich ja über die Jahre Stück für Stück entwickelt und natürlich auch mit der aufwendigeren Technik. Früher waren die Bühnenbildner auch die Lichtgestalter. Licht ist immer noch Teil ihrer Ausbildung. Der Bühnenbildner in Personalunion sollte auch Lichtgestalter sein. Wenn man einen Lichtgestalter hat, muss er mit dem Bühnenbildner sehr eng zusammenarbeiten, auch bei der Oberflächenauswahl. Da gehören, wie du sagst, Reflexionseigenschaften dazu. Oder Pigmentierungen. Wir machen nicht eine weiße Kiste, sondern wir pigmentieren z.B. ganz leicht grün, damit die Gesichter einfach im Umkehrschluss, egal wie ich jetzt reinleuchte, trotzdem einen wärmeren Hautton behalten. Damit wird das Auge immer leicht ausgetrickst. Selten leuchten wir in einem schwarzen leeren Raum. Wenn du einen schwarzen Boden hast, einen schwarzen Aushang, alles schwarz und dann gibst du Licht rein, dann siehst du es nicht, weil nichts reflektiert. Ich sehe ja immer nur das was reflektiert. Und deswegen liegt mein Hauptaugenmerk auf dem, was ich anleuchte – Bühnenbild, auch Kostüm und Maske sind da ganz, ganz wesentliche Sachen, wo man sich abstimmen und immer wieder schauen und überprüfen muss. 


APPELT: Als Bühnenbeleuchter hast du wahrscheinlich einige Erfahrungswerte gesammelt, die für Architekten bei der Lichtplanung und der Materialauswahl hilfreich sein könnten. Das Hauptaugenmerk in der Ausbildung von Architekten liegt ja nicht auf dem Licht.


RÖSSLER: Mein Bruder ist Architekt, mein Schwiegervater ist Architekt, mein Onkel ist Architekt und alle möglichen Architekten im Umkreis – manchmal streite ich mich mit meinem Bruder, was normal ist, weil ich bestimmte Sachen einfach anders sehe als er, und gerade Oberflächen anders wahrnehme. Bei mir gibt es ein Augenmerk drauf und das ist natürlich, denn in unserem Bereich, im Bühnenbereich, haben wir mit Licht, Materialität, Reflexionseigenschaften von Materialien und vor allem Pigmentierung von Oberflächen viel Erfahrung gesammelt. In den 60er, 70er Jahren wurden bei Renovierungen historischer Fassaden Dispersionsfarben verwendet, die ganz anders reflektieren als die alten Kalkfarben, die zwar schneller verwittern, aber viel schöner reflektierten. Da muss jetzt ein Bühnenbeleuchter einem Architekten nichts beibringen, aber wir sehen das schneller. Unser Augenmerk ist da schon eher drauf, es geht einfach auch um die Wahrnehmung. Es ist mein Job, ständig zu gucken, ständig zu schauen. Ein Architekt schaut nicht nur, dadurch hat er natürlich einen anderen Blickwinkel. Deswegen finde ich eine partnerschaftliche Ergänzung gut. In der Architektur sind heutzutage selten Einzelpersonen in einem Büro, sondern es ist aus mehreren Personen aus verschiedenen Bereichen zusammengesetzt. Es ist gut, wenn jemand vom Licht mit dabei ist. Es geht auch um Proportionen, um Verhältnismäßigkeiten. Ein ganz wichtiges Thema beim Bühnenbild ist die Proportion Mensch zu Bühne, zum Bild auf der Bühne. Deswegen machen wir im Vorfeld immer Bauproben, ein Setting, angedeutet mit Holzlatten auf der Bühne, um die Proportionen zu überprüfen. Der Beleuchter fragt sich dann: „Funktioniert das Verhältnis Raum, Licht, Person auf der Bühne?“ oder „Wie komm ich da rein in die Kiste?“, wenn es eine nach oben geschlossene Kiste ist.


APPELT: Die Proportionen im eigenen Theater lernst du mit der Zeit, von Stück zu Stück, immer besser kennen, denn du hast immer dieselbe Voraussetzung, immer den denselben Raum und immer dasselbe Equipment fürs Licht. Also ein bestimmtes Kontingent an Strahlern und Möglichkeiten in Farbe, Bewegung, Hell, Dunkel, flächig, punktuell, von oben, von unten, von der Seite, von vorne, von hinten. Es bieten sich dir also sehr viele verschiedene Möglichkeiten der Anwendung an. Im Laufe der Zeit triffst Du Entscheidungen und lernst diese Möglichkeiten kennen. Ich stelle es mir als große Herausforderung vor, mit immer denselben technischen und räumlichen Voraussetzungen zu arbeiten.


RÖSSLER: Es ist eine Herausforderung, ist aber auch Spaß. Für das aktuelle Stück benütze ich nicht das ganze Equipment. Es gibt ja Stücke mit nur einer Art von Lichtquelle. Und die extremste Beleuchtung habe ich bei einem Jelinek-Stück eingesetzt: Da lagen 60 Leuchtstofflampen auf dem Boden und vom normalen Equipment wurde kein einziger Scheinwerfer verwendet. Über den Leuchtstoffröhren war ein weißer, viereckiger Raum mit einem durchscheinenden milchigen Plexiglasboden. Es war zweieinhalb Stunden lang gleißend hell. Alle Theaterscheinwerfer wurden abgehängt, damit der Raum noch spartanischer wirkte. Für mich ist es eine Herausforderung, sowohl auf den Inhalt eines Stücks als auch auf die künstlerische Intention eines Regisseurs einzugehen, sich davon befruchten zu lassen oder im besten Falle sogar noch im Team zusammen eine künstlerische Idee zu entwickeln und umzusetzen. Das Schöne an der Theaterarbeit ist, dass du ein Team hast, mit dem du Ideen umzusetzen versuchst. Das Licht hat eine große Bandbreite – vom leeren Raum bis zum Bebildern.


APPELT: Bei diesem Jelinek-Stück hat die Schauspielerin also nur von unten Licht bekommen, und zwar sehr viel Licht. Wie hat das Publikum reagiert?


RÖSSLER: Angestrengt, sehr angestrengt, weil es für unser Augenempfinden eine Spur zu hell war. Es tat fast weh und das war die Absicht. Das Auge wirkt direkt auf die Psyche. Du hast sofort einen Eindruck und es tut weh, obwohl du kein klassisches Schmerzempfinden hast. Diese Grenze herauszufinden, dass es noch erträglich ist, aber trotzdem einen Schmerz verursacht, das war das Schwierige. Die Leuchtstoffröhren waren nicht dimmbar, also hieß es: 80, 60 oder sind 40 Leuchtstoffröhren genug. Wo ist die Grenze, dass die Leute nicht nach zehn Minuten rausrennen, dass sie es aushalten, sich auf den Schmerz noch einlassen können und sagen: „Okay, Jelinek tut weh!“ Manche Leute haben gesagt: „Das war eine Katastrophe, das war viel zu schlimm und deswegen konnte ich mich nicht auf den Text konzentrieren.“ Ja, dann war es halt ein Misserfolg in Kommunikation mit dem Zuschauer.


APPELT: Extreme Beleuchtungssituationen rufen immer kontroverse Reaktionen hervor. Die Begeisterung war bestimmt ähnlich groß wie die Ablehnung.


RÖSSLER: Auf jeden Fall beides. Und das soll es ja auch sein im Theater, es soll eine Kontroverse auslösen. Im besten Falle einfach anregen, weiter darüber zu reden. Das ist mein Verständnis für ein Bildungstheater, dass man nicht eine Bildung vorgegeben bekommt, seinen Schiller hört und weiß, wie der ungefähr geklungen hat, sondern, dass man eine Problematik, die dem Stück innewohnt, weiterwachsen lässt und das Theater nur eine Anregung für einen Diskussionsprozess ist.


APPELT: Ihr habt bei dem Jelinek-Stück das bestehende Beleuchtungsequipment eliminiert und ein ganz neues auf die Bühne transportiert und aufgebaut. Im Normalfall aber ist das alte Equipment da und es gibt unterschiedliche Möglichkeiten, damit den Bühnenraum zu definieren, die Räume, die Farben und Helligkeiten zu bestimmen. Ich frage mich, ob man trotz dieser vielen Möglichkeiten auch auf Beschränkungen in der Anwendung stößt. Weil gewisse Dinge technisch nicht möglich sind oder man selber eher geneigt ist, bestimmte, schon bewährte Abläufe zu wiederholen. Und es spielt sich alles in mehr oder weniger vordefinierten Lichträumen ab. Da ist der Scheinwerfer rechts, der Scheinwerfer links, zusammen erzeugen sie einen anderen Lichtraum als einzeln. Als Beleuchter triffst du bei jedem Stück aufs Neue räumliche und ästhetische Entscheidungen. Wie gehst du mit den Beschränkungen um?


RÖSSLER: Da musst du dich immer wieder an den eigenen Haaren aus dem Sumpf ziehen, weil du wirst dazu verführt, ein bestimmtes Erfolgsrezept immer wieder anzuwenden und kommst dadurch in eine Art von retardierendem Moment, wo du stehen bleibst. Wo du selber einfach nicht weiterkommst und sagst: „Mein Gott, jetzt machst du deinen eigenen Stiefel, schon wieder die gleiche Suppe.“ Das Schöne am Licht am Theater ist, dass du, wenn genügend Equipment da ist, wie ein kleines Kind damit spielen darfst und einfach ausprobieren kannst. Ich stelle immer wieder an die gleiche Stelle einen 5 KW, vorne links an die Bühne hin und sage: „Das möchte ich einmal in einem Stück sehen!“ Ich biete es immer wieder mal an, wenn ich denke, es passt. Das hat noch nie funktioniert, aber ich stelle ihn immer wieder mal auf.


APPELT: Die Schauspieler wissen hoffentlich, dass sie da nicht reinschauen dürfen, weil das intensive Licht die Netzhaut schädigen kann?


RÖSSLER: Ja klar. Das ist aber bei LED viel schlimmer als bei den 5 KW mit so einer großen Linse. Wir haben jetzt zwei neue seitliche LED-Scheinwerfer. Gestern konnte ich zwei Minuten lang nichts mehr sehen, nachdem ich da direkt reingeschaut habe. Man muss echt aufpassen. Hier kommt auch wieder das Modelicht im Theater ins Spiel – das Licht ist nämlich von der Idealposition 45 Grad links, rechts und so weiter, immer mehr runter gewandert und geht immer mehr auf Augenhöhe. Das hängt mit der Tanzästhetik des Gassenlichts zusammen, weil Gassenlicht schön ist, es gibt einfach eine sehr schöne Kontur. Das schräge Abendlicht, das lange schräg einfällt, empfinden wir als schön und nicht als bedrohlich. Bedrohlich empfinden wir ein kühles, streuendes Licht. Deswegen ist über die letzten 30 Jahre eine Verschiebung der Lichtachsen zu beobachten. Das kann man wunderbar an Fotos analysieren, sogar noch aus den 50er, 60er Jahren – nicht nur die Befreiung, dass man von überall her leuchten darf, auch eine Hauptlichtrichtung im Theater, die Achsen haben sich verschoben. Und das geht einfach mehr auf die Augen. Ob es bleibende Schäden bei den Schauspielern und Sängern gibt, weiß ich nicht, aber ich glaube, es wird sich häufen mit der Verwendung von LED, weil sie eine viel höhere Leistung auf kleinerer Fläche haben. Der Lichtaustritt bei LED ist punktueller.


APPELT: Andererseits haben die LED ein genau bestimmtes Spektrum, bei dem das schädliche UV-Licht und der kurzwellige Blauanteil eliminiert sind.


RÖSSLER: Es kommt nicht nur auf die Art der Lichterzeugung, sondern auch auf die Leistung an. Je punktueller und höher eine Lichtleistung ist, desto eher ist es gefährlich fürs Auge. Sobald ich das Licht wieder aufspalte und streue, ist das alles nicht mehr das Problem. Es ist nicht die Lichtquelle an sich, sondern die Leuchtendichte.


APPELT: Viele Beleuchter erzählen davon, dass sich das Bühnenlicht momentan in diesem Zwischenstadium befindet, wo LED mehr und mehr auf Vormarsch ist, aber noch nicht alles Alte ersetzen oder verbessern kann. Welche Arten von Licht kommen denn bei euch zum Einsatz und bist du mit der Qualität der LED-Strahler schon zufrieden?


RÖSSLER: Es sind vier Formen der Lichterzeugung im Einsatz – Glühlicht, dann Gasentladungslampen HMI/HQI-Lampen, die sehr viel im Film im Einsatz sind, aber auch bei uns in Moving lights und HMI Linsen mehr im Rücklichtbereich eingesetzt werden, weil es halt eine sehr starke Lichtausbeute hat, einen sehr weißen Lichtanteil besitzt. Dann Leuchtstofflampen, die benutze ich häufig als Flächenlicht, Architekturlicht, um eine Wand „à la Haus“ zu beleuchten. Und LED-Licht. Diese vier großen Gruppen der Lichterzeugung werden alle im Theater verwendet. Und Kerzenlicht verwenden wir auch. Und Sonne, ja, im Open-Air-Bereich. Einmal haben wir Sonne miteinbezogen, indem hinten die Tür aufgemacht wurde, so dass ein Lichtschein reinkam. Das HMI-Licht ist ein wichtiges gestalterisches Element. Es ist ein sehr weißes Licht, d.h. es hat eigentlich das breiteste Lichtspektrum und hatte, bevor es LED gab oder Leuchtstoff, die höchste Lichtausbeute. Mit 2.500 Watt krieg ich eine wesentlich höhere Lichtausbeute und ein breiteres Lichtspektrum als bei 5.000 Watt Halogen. Es ist nicht so rötlich wie Halogen, sondern sehr weiß, was die Möglichkeit gibt, ein deutliches Führungslicht zu erzeugen, also eine bestimmte Lichtrichtung zu etablieren. Ich kann mit einem Scheinwerfer aus einer Richtung einen Lichtstrahl setzen und sagen: „Das definiert mir schon eine Stimmung, einen Raum, eine Raumwirkung, von woher ein Licht in diesen Raum hineinfällt.“ HMI-Licht verwende ich, um Räume in Lichtrichtungen zu definieren, das andere sind dann Aufhellungen, wo ich sage, okay, die eine Seite vom Gesicht ist noch zu dunkel. Leuchtstofflicht verwende ich für flächiges Licht oder bei Einbauten, wo ich sehr platzsparend arbeiten muss. Aber das wird Stück für Stück von LED abgelöst, weil es einfacher zu handhaben und zu steuern ist. Dimmbares Leuchtstofflicht ist immer noch nicht ganz einfach. Glühlicht verwende ich am liebsten ausgehend vom Gesicht einer Schauspielerin, eines Schauspielers, weil eigentlich nur das Ungefilterte oder Unbearbeitete oder Ungedimmte den wärmsten, schönsten, natürlichsten Eindruck macht. Das heißt, wenn ich eine Form von Natürlichkeit erreichen will, verwende ich sehr künstliches Licht, das eine Rotverschiebung zu unserer normalen Wahrnehmung hat und eher wie ein schönes Sonnenuntergangslicht ist. Das wirkt auf der Bühne am natürlichsten, auch auf einem Kostüm mit bestimmten Farben und Stoffen. Das wirkt für unser Auge immer noch farbechter als mit LED. HMI-Licht ist am farbechtesten, weil es das breiteste Spektrum hat. Das empfinden wir aber als sehr kalt, weil es sehr weiß ist. Architekten sagen, dass es eigentlich das Schönste ist, ein Haus nicht unbedingt nach Süden, sondern nach Norden aufzumachen, weil dann das kühle Streulicht ein gleichmäßiges und schönes Licht macht. Beim Essen empfinden wir es aber schöner, wenn kein gestreutes Licht auf dem Teller ist, sondern wenn es punktueller ist und dadurch Glanzpunkte schafft, gerichtet ist und wärmer.


APPELT: Die LED-Technologie bringt viele Vorteile mit sich. LED-Strahler sind ansteuerbar, dimmbar und farblich veränderbar, was fürs Theater wichtig ist. Und trotzdem klagen viele der Beleuchter aus dem Event- und Theaterbereich, dass LED die herkömmlichen Leuchten noch nicht ersetzen, schon gar nicht toppen kann. Du selber deutest das ja auch an. Wie sind deine Erfahrungen mit den LED-Strahlern, die bei euch schon im Einsatz sind?


RÖSSLER: Also ich benutze LED noch nicht als normales Spiellicht. Vielleicht hat es mit Gewöhnung zu tun. Oft sind es Ästhetiken, an die man sich erst gewöhnen muss. Ich hab natürlich jetzt schon einige LEDs gesehen, die ein sehr gutes Weiß bringen, aber ich habe das Gefühl, es kommt noch nicht meinem Empfinden entgegen, dass ich einen Menschen auf der Bühne in diesem Licht sehen will. Ich benutze es sehr oft als sogenanntes Effektlicht, das heißt, wenn ich ein ganz krasses, tolles Blau von hinten haben will oder, was ich gerne mache, ein warmes Licht von der Seite mit einem blauen Licht von vorne gemischt. Das heißt, wo Schatten entstehen, beim Faltenwurf z.B., färbe ich die Schatten leicht. Das macht es für das Auge lebendiger, sogar natürlicher, obwohl es unnatürlicher ist. Das nenne ich jetzt mal Effektlicht. Das funktioniert mit LED sehr gut. Oder wenn du heute Abend das Stück anschaust, dann machen die LEDs nur ein Toplicht und nur diese Veränderung der Farbe der LEDs von oben verändern den ganzen Raum. In den Gesichtern bleibt das normale, warme Glühlicht und zwar unverändert. Das Licht von oben das leicht schräg von hinten kommt und kaum in die Gesichter der Schauspieler trifft, verändert dann tatsächlich die ganze Atmosphäre.


APPELT: Du sprichst einen wichtigen Punkt an, an den ich bis jetzt noch gar nicht gedacht habe. Ein Architekt, der ein Haus plant, denkt wahrscheinlich viel nach über natürliches Licht, über künstliches Licht, wie es eingesetzt wird, wie es reagiert, wie es seine Räume definiert, wie die Formen und Materialien im Raum das Licht reflektieren, nur der Mensch bleibt aus diesen Gedanken draußen. Du aber sprichst von dem Licht, das auf den Menschen fällt, der ja auch Teil des Raumes, des Gesamtbildes des Raumes ist. Ich spreche jetzt nicht davon, wie der Mensch aussieht oder wie er sich fühlt, sondern wie er als reflektierendes Element mit seinen Bewegungen oder durch seine bloße Anwesenheit den Raum mitgestaltet und verändert.


RÖSSLER: Ja unbedingt. Interessant auch, wie Menschen sich Wege schaffen, die ganz anders geplant waren, wie Trampelpfade entstehen, das finde ich spannend. Bei der Bühne habe ich den großen Vorteil, dass ich von einer Blickrichtung heraus die Bildkompositionen gestalten kann. Im öffentlichen Raum oder im anderen Raum wird es denkbar schwieriger, weil es da von allen Seiten funktionieren muss. Und da gehört der Mensch dazu.


APPELT: Du hast das Kerzenlicht angesprochen. Wenn so ein kleines Feuer angezündet wird, hat das eine ganz andere Qualität, als wenn einfach ein Licht angedreht wird.


RÖSSLER: Ich habe mal die Lichtgestaltung für ein Alte-Musikfestival in der Residenz in München gemacht. In der kleinen Hofkapelle der Residenz war bloß ein Lautenspieler vorgesehen und ich musste ein halbes Jahr für die Sonderzulassung kämpfen, um Kerzen und sonst nichts in der Kirche anzünden zu dürfen. Es war die schwierigste Lichtgestaltung, die ich bis jetzt gemacht habe, weil es nur ein Politikum war. Aber es war mir wichtig, zu sagen: „Ich verzichte auf das, was ich habe. Auch auf das Equipment.“ Es ist natürlich schön, wenn man viel Spielzeug hat, sagen wir mal so, aber man muss sich immer wieder entscheiden.

Arndt Rössler, geboren am 7.11.1969 in Mühldorf am Inn, seit 2004 als Leiter der Beleuchtung und Lichtgestalter am Vorarlberger Landestheater tätig.
In dieser Funktion verantwortlich bei Inszenierungen wie My Fair Lady, Salome im  Festspielhaus oder
Der Liebestrank.
Als freier Lichtgestalter arbeitete er auch für das FeldkichFestival, den Bregenzer Frühling und verschiedenste Projekte der Vorarlberger Tanzszene.
Nach dem Studium der Theater- und Musikwissenschaften an der LMU München war er von 1996-02 an der Bayerischen Staatsoper, 2002-03 am Staatstheater am Gärtnerplatz und
2003-04 am Bayerischen Staats-
schauspiel beschäftigt.
2002 erfolgte die Prüfung als Beleuch-
tungsmeister in Bayreuth.
Neben Projekten für die Bayerische Theaterakademie entstanden auch Arbeiten in Neuburg, Ingolstadt, Wien und Einladungen zu Festivals in
Berlin, Hamburg, Bamberg und Kassel.