Wir sind nicht die gleichen Menschen am Tag und in der Nacht – physiologisch, endokrinologisch und auch psychologisch. Die innere Uhr, genetisch reguliert und in den suprachiasmatischen Kernen (SCN) im vorderen Hypothalamus neuronal verschaltet, diktiert unser Schlafwach- Verhalten.Die endogene Rhythmik mit einer Periodik von zirka 24 Stunden muss mit Stimuli aus der Umwelt täglich dem 24–Stunden-Tag angepasst werden, dies geschieht hauptsächlich durch Licht. Kürzlich sind neue Photorezeptoren in der Netzhaut entdeckt worden, die spezifisch die Zeitgeber-Wirkung von Licht vermitteln. Neben der «Meister»-Uhr im SCN ticken auch in jeder Zelle jedes Organs genetische Uhren, die ebenfalls synchronisiert werden müssen.

Normalerweise sind gesunde Menschen mit dem 24-Stunden-Tag im Einklang (Abb. 1A). Es gibt aber eine Reihe von Schlafproblemen, bei denen die innere Uhr «verkehrt» läuft. Für diese sind die normalen Schlafmittel ungeeignet und nützen nichts. Die internationale Klassifikation von Schlafstörungen hat bisher mehr als 80 unterschiedliche Erkrankungen definiert. Die Subgruppe «Störungen des zirkadianen Schlafwach- Rhythmus» hat eine gemeinsame chronobiologische Grundlage und bildet daher eine eigenständige Gruppe innerhalb der Dyssomnien. Wir differenzieren zwischen exogenen (Zeitzonenwechsel, Schichtarbeit) und intrinsischen (extrem späte, frühe, nichtsynchronisierte oder unregelmässige Schlafzeiten) Schlafstörungen. Zwei chronobiologische Behandlungen sind als Zeitgeber einzusetzen: Mit Lichttherapie nach Zeitvorgabe sowie dem Pinealhormon Melatonin mit seinen schlaffördernden Eigenschaften kann der Schlaf-wach-Zyklus verbessert, bzw. neu synchronisiert werden.

Exogene zirkadiane Schlafstörungen
Der moderne Mensch kann das Gleichgewicht zwischen der inneren Uhr und den äusseren Faktoren bewusst verändern und eine Desynchronisation herbeiführen. Die Folgen unserer «24-Stunden- und 7-Tage-Gesellschaft» zeigen sich in einer hohen Anzahl Patienten, die den Arzt zur Abklärung zirkadianer Rhythmusstörungen aufsuchen (auch wenn diese nicht als solche erkannt werden).
Jetlag: (Abb 1E, 1F) Die häufigste «freiwillige » zirkadiane Rhythmusstörung wird durch den Jetlag verursacht,der bei Überschreitung mehrerer Zeitzonen entsteht. Der Licht-Dunkel-Zyklus ist abrupt früher (nach Osten) oder später (nach Westen) verschoben, aber die inneren Rhythmen und der Schlaf brauchen mehrere Tage bis sie den neuen Zeitgebern angepasst sind. Typische Symptome sind Ein- und Durchschlafschwierigkeiten, Tagesschläfrigkeit, Verdauungsprobleme, Gereiztheit und Konzentrationsstörungen.
Was tun? Das Tageslicht am Ankunftsort aufsuchen, Melatonin als Zeitgeber zum Einschlafen einnehmen. Wichtig ist aber das Timing von beidem: Licht und Melatonin müssen entsprechend der Zeitzonenverschiebung morgens und/oder abends angewendet bzw. eingenommen werden – eine einfache Regel kann es daher nicht geben.

Schichtarbeit: (Abb 1E, 1F) Durch Nachtund Wechselschichten werden Schichtarbeitern ungewöhnliche und unregelmässige Arbeitszeiten auferlegt. Der äussere Licht-Dunkel-Zyklus ändert sich nicht, aber der künstliche Licht-Dunkel- Zyklus verschiebt sich um mehrere Stunden. Dadurch entstehen gesundheitliche Probleme, die denen des Jetlags ähneln – nur sind sie nicht von vorübergehender Natur. Schichtarbeiter schlafen zudem auch weniger. Dazu kommt die grösste Müdigkeit und Beeinträchtigung von Leistungsfähigkeit zwischen zwei und fünf Uhr morgens, eine der Mitursachen von nächtlichen Unfällen mit enormen Folgekosten für die Gesellschaft. Schichtarbeit bedeutet eine dauernde innere Desynchronisation aller körperlichen Funktionen, weil das Verhalten sich ständig verändert und nie im Einklang mit der Hauptuhr oder dem natürlichen Tag- Nacht-Zyklus steht. Diese Desynchronisation ist teilweise für die bekannten gesundheitlichen Schäden der langjährigen Schichtarbeit verantwortlich. Dazu kommt, dass Schlafrestriktion und Schlafdefizit, auch wenn sie als relativ «normal» angesehen werden, tiefgreifende metabolische und endokrine Konsequenzen haben.
Was tun? Immer wichtiger wird eine individuelle Selbstselektion des Schichtmodus. Dabei ist wichtig, dass erstens der sogenannte Chronotyp («Lerche» oder «Eule») beachtet wird, zweitens spielt es eine Rolle, ob jemand Lang- oder Kurzschläfer ist. Beide Faktoren sind angeborene Eigenschaften, welche die Fähigkeit, Schichtarbeit zu verkraften, massiv beeinflussen. Normalerweise können sich «Eulen» und Kurzschläfer schneller und besser an Schichtarbeit anpassen. Mehr Licht am Arbeitsplatz in der Nacht, Vermeidung des Lichts am morgen auf dem Heimweg sind wichtige Hilfsmittel zur Verbesserung der Anpassung.

Intrinsische Schlafstörungen
Eule oder Lerche zu sein ist keine Krankheit. Erst wenn die Fähigkeit, die Schlafzeiten den sozialen Bedürfnissen (Schule, Arbeit) anzupassen, nicht mehr funktioniert, reden wir von nachverschobenem (delayed, DSPS, Abb. 1C) oder vorverschobenem (advanced, ASPS) Schlafphasensyndrom. Diese Syndrome sind teilweise genetisch bedingt (Polymorphismen eines der Uhrengene).

DSPS: Bei den extremen Eulen ist diese Veranlagung oft genetisch bedingt, dazu kommt, dass sich die innere Uhr in der Adoleszenz generell in Richtung «Eule» verschiebt. Personen mit DSPS sind oft nicht adequat diagnostiziert (ihr Schlaf ist gesund, wenn sie frei ihre Zubettgeh- und Aufwachzeiten wählen können) und leiden unter Schulproblemen und Schwierigkeiten am Arbeitsplatz, oft kommt eine Depression hinzu.

Was tun? Diese biologische Tatsache ist ein gewichtiges Argument für spätere Schulzeiten und flexible Arbeitszeiten. Es gibt keine Dauerbehandlung der DSPS – nur regelmässig Licht am morgen und/ oder Melatonin am Abend kann eine Vorverschiebung induzieren.

ASPS: (Abb. 1D) Auch hier sind genetische Faktoren im Spiel, wobei sich im Alter die innere Uhr zu früheren Schlafzeiten verschiebt (bis hin zur bekannten «senilen Bettflucht» am Morgen).
Was tun? Es gibt keine Dauerbehandlung der ASPS – nur regelmässige Lichtexposition am Abend kann eine Nachverschiebung induzieren.

Blindheit: Das Hauptproblem der Blindheit ist natürlich der Verlust der Sehkraft. Sehr unterschätzt ist aber ein wichtiges Sekundärproblem mit grossem Einfluss auf die Gesundheit und das Wohlbefinden: die fehlende Synchronisation des Schlaf-wach-Zyklus durch Licht. Viele Studien haben gezeigt, dass die Schlafstörungen Blinder oft phasennachverschoben (DSPS, Abb. 1C) oder «freilaufend » sind, mit einer endogenen Periodik etwas länger als 24 Stunden (Abb. 1B). Auch Menschen mit Augenkrankheiten, die die Lichtperzeption beeinträchtigen (Retinopathien, Katarakt, Glaukom), zeigen ähnliche Schlaf-wach-Zyklus Störungen.
Was tun? Da Licht kaum als Therapie eingesetzt werden kann, haben die meisten Studien deshalb Melatonin als externe Zeitgeber verabreicht, mit gutem Erfolg. Da wir wissen, dass zwischen 50 und 70% der Sehbehinderten zirkadiane Schlafprobleme haben, ist es wichtig, Melatonin und nicht andere Schlafmittel als Behandlung einzusetzen.

Alter und Demenz: Im Alter führen viele der obengenannten Augenkrankheiten sowie die natürliche Trübung der Augenlinse zur Verminderung der Lichtaufnahme. Auch sind ältere Leute weniger im Freien. Die Funktion der inneren Uhr im SCN nimmt ab und führt zu vermehrten Nickerchen am Tag und Wachperioden während der Nacht. Diese Veränderung ist am auffallendsten bei Alzheimer-Demenz, und entsprechend polyphasisch oder arrhythmisch ist der Schlaf (Abb. 1G).
Was tun? Hier sindVerhaltensweise (regelmässige Spaziergänge) und Architektur im Wohnbereich wichtig (Wintergärten, mehr Licht in Heimen). Licht und Melatonin scheinen nicht nur den Schlaf-wach- Zyklus zu stabilisieren, auch der Verfall kognitiver Funktionen wird verlangsamt.

Depression: Zirkadiane Rhythmus-Störungen sind auch ein Teil der Depressionssymptomatik, besonders frappant bei Bipolaren Erkrankungen. Bei Winterdepression scheint die innere Uhr nachverschoben (Abb. 1C), bei nichtsaisonaler Major Depression vorverschoben (Abb. 1D) oder unregelmässig synchronisiert.
Was tun? Lichttherapie wirkt nicht nur bei Winterdepression antidepressiv, sondern auch (oft in Kombination mit Medikation) bei anderen Formen.

Zusammenfassung: Die konventionellen Schlafmittel (Benzodiazepine etc.) sind für die zirkadianen Schlafstörungen nicht zu empfehlen, da sie das zugrundeliegende Problem nicht behandeln. Deshalb ist das einfachste diagnostische Hilfsmittel ein Schlaftagebuch über mehrere Wochen zu führen, um, wie in Abb. 1 gezeigt, das Schlafmuster besser zu erkennen und entsprechend zu behandeln.


Literaturhinweise:

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Wirz-Justice A, Benedetti F, Terman M. Chronotherapeutics for Affective Disorders. A Clinician’s Manual for Light and Wake Therapy. 2009; S.Karger Basel.
www.cet.org