APPELT: Als ich 2005 das Licht für den Uferbereich in Bregenz und für Ihr Projekt beim Festspielhaus gemacht habe, sagten Sie, Sie verstehen mein Konzept und es ist genau richtig für solche Orte, aber die Frage ist, wie man ein Projekt mit Licht, das sich so zurückhaltend gibt, an die Leute bringt. – Wie also bringt man es an die Leute? Genau das ist der Punkt. Deshalb möchte ich unser Gespräch mit diesem Bregenzer Beispiel beginnen.


VOGT: Warum hat mir das in Bregenz so gefallen? Was ist das eigentlich für ein städtischer Raum zwischen dem Kunsthaus, dem Bahnhof, dem Festspielhaus, also alles Gebäude, die intensiv beleuchtet sind, die extrem für Stadt stehen. Dazwischen ist dieser Uferraum des Sees, der gleichzeitig Park, Landschaftsraum, „Natur“ sein soll. Gerade da ist der Umgang mit Licht entscheidend. An einem Ende das Kunsthaus, das Turell ja einmal wie einen japanischen Lampion beleuchtet hat, am anderen das Festspielhaus. Wenn Festspielbetrieb ist, braucht es viel Licht. Was ist aber in diesem Zwischenraum? Um da zu operieren, braucht es letztlich ein urbanes Reagieren des Lichts. Wenn in der Natur der Baum das Licht filtert, ist die Stimmung immer wieder anders. Und dies als Prinzip für den Einsatz von künstlichem Licht finde ich immer noch aktuell. Es gibt sehr viele Orte in urbanen Situationen, wo diese Art von Umgang mit Licht – ich rede jetzt nicht vom Technischen – das Richtige ist.


APPELT: Die Ideen zum Bregenzer Projekt waren ja vorgreifend zu denen von Langsames Licht / Slow Light.. Schon damals ging es um einen nachhaltigen und ästhetisch sensiblen Umgang mit Licht und Raum. Entscheidend ist auch der Auslassplan für die Positionierung der Leuchten. Gerade bei Naturlandschaften können sehr schöne nächtliche Räume definiert werden. Trotzdem machen die meisten Architekten ihre Auslasspläne nach dem immer gleichen Schema. Ich denke, eines der größten Probleme ist immer noch ein fehlendes Wissen bzw. das fehlende Verständnis für das Medium Licht, für die Dunkelheit.


VOGT: Wirklich gute Gestaltung mit Licht kenne ich weder aus dem Städtebau noch aus der Architektur, sondern nur aus der Kunst. Jetzt könnte man einwenden, das sei elitär, aber es fasziniert mich, wie die Künstlerinnen und Künstler mit Licht operieren. Mich irritieren städtebauliche Konzepte wie der Plan Lumière in Zürich oder in Lyon, wo ein „Masterplan Licht“ gemacht wird. Natürlich ist das Bestreben gut und ich verstehe, was da dahinter steht, nämlich diese vielen Akteure einer Stadt unter einen Hut zu bringen. Nichtsdestotrotz halte ich es für die falsche Art zu denken. Vielmehr gilt es, das Spezifische der Situation zu eruieren – ich bin überzeugt, das ist die Zukunft. Gerade in diesen städtischen Zwischenzonen ist es am Schwierigsten, das Licht richtig zu gestalten, richtig in dem Sinn, dass die Leute sich letztlich wohlfühlen. Die Idee des prozesshaften Arbeitens ist in diesem Zusammenhang absolut zielführend. Ich glaube, da müssen wir hin. Wir müssen uns lösen von der Faszination der Technik, die in den letzen zehn, zwanzig Jahren unglaublich explodiert ist. Das Spannende ist vielmehr, die Technik als Werkzeug zu gebrauchen und damit entwerferisch zu arbeiten. Das fasziniert mich


APPELT: Das sehe ich genauso. Es ist wichtig, die technischen Möglichkeiten als Werkzeuge für kreative Umsetzungen zu betrachten. Das ist wie bei einem Instrument. Eine Stradivari ist schon als Instrument ein kleines Meisterwerk. Aber dann geht es auch darum, wie der Interpret mit diesem Werkzeug umgeht. Das kann sehr handwerklich sein und klingt vielleicht gut oder es wird mit Sensibilität und Intuition gespielt, dann bekommt es diesen künstlerischen Mehrwert, diesen besonderen Klang. Also geht es zum einen um das Werkzeug selber und zum anderen um den Umgang damit. Ihre Arbeiten sind ja auch mit einem umfassenden Verständnis für die jeweiligen Orte entstanden und mit sorgfältig ausgewählten Materialien umgesetzt. Nur so ergeben sich diese Landschaften, Räume, Bilder, die denjenigen, die sie benutzen, den Zugang zu ihren eigenen Assoziationswelten öffnen. Die Frage ist also: Wie gehen wir mit der Lichttechnologie als Werkzeug um?


VOGT: Claude Lévi-Strauss hat sehr schön gesagt, dass es zwei Arten des Entwerfens gibt. Die eine macht der Ingenieur, der sich einfach über das Problem setzt, es durchplant und die Mittel und Werkzeuge einsetzt, die er braucht, und die andere, das Gegenteil, macht der Bricoleur, der Bastler, der durch die Beschränkung der Mittel und der Werkzeuge, böse gesagt, nur das nehmen kann, was auf dem Tisch liegt. Das ergibt dann im besten Fall eine poetische Bastelei. Ich und ein paar andere Büros sind keinem von beiden zuzuordnen, wir sind Schlitzohren, wir passen die Art des Arbeitens dem Problem an. Teils operieren wir wie Ingenieure, teils wie Bastler. Wenn sehr viel da ist, dann nehmen wir das, was da ist, und wenn eben nichts da ist, müssen wir etwas implementieren. Ich denke, beim Licht gibt es diese Faszination der vielfältigen Technologie und so verfallen viele dem Fehler – was gelegentlich auch mal gut sein kann –, die Technologie einfach nur deshalb zu verwenden, weil sie so faszinierend ist. Aber eigentlich müsste man ja vorher entscheiden, was man will, und dann die Technologie wählen. Ich sehe sehr viele Projekte, die durch die Werkzeuge und die Mittel bestimmt sind, das ist meistens eine Beschränkung. Wenn ich aber ein Werkzeug nehme, weil ich etwas Bestimmtes erreichen möchte, dann ist das für mich eine Erweiterung, das finde ich viel spannender.

So war es auch in Basel geplant. Wir wollten das Bregenzer Beleuchtungskonzept nochmals in diesem kleinen Park beim Bahnhofsplatz einsetzen. Die Situation ist ähnlich, die städtische Überdeterminiertheit des Bahnhofsplatzes mit Fußgängern, Autos, Trams, und dann der Park, dieser Transitionsraum zwischen Bahnhof und Stadt, besetzt von sozial Randständigen. Es war ein bisschen dunkel, sehr viele Bäume, die viel Schatten machen, aber auch tolle Stimmungen. Dann gibt es ein Gymnasium nebendran und es gibt einen Pavillon, wo sich die Kids treffen und zu jeder Tages- und Nachtzeit sind unterschiedliche Leute unterwegs. Wir haben gesagt, wir nehmen die Vegetation unten raus, sodass nur noch die Bäume mit den Stämmen da sind, und wir brauchen Sitzbänke. Die Choreografie des Raumes konzentriert sich nachts mehr auf den Durchgangsraum, am Tag dagegen sitzen die Leute eher. Doch statt einer Lösung vergleichbar dem Bregenzer Konzept wurde das Licht nun sehr konventionell gelöst, statisch, hell. Da sitzen nun die Leute und werden sozial kontrolliert.


APPELT: Dann war der ursprüngliche Plan also, eine Art Oase in der Stadt zu planen, auch für abends. Tagsüber funktioniert der Ort nun gut, weil das natürliche Licht den Raum mit Licht- und Schattenräumen inszeniert, aber abends funktioniert er nicht, weil das viele Licht der Stadt sich in eher konventioneller Weise im Park fortsetzt und dadurch die nächtliche Stimmung eine rein städtische ist?


VOGT: Ja. Wir wollten die verschiedenen Bereiche ineinander übergehen lassen, so dass man aus diesem gleißenden städtischen Licht in einen schwächer ausgeleuchteten Raum kommt, der in den Randbereichen noch vom Überangebot der Stadt beeinflusst ist. Dann sollte man von dem Licht empfangen und geführt werden. Die Wegebeleuchtung nachts ist dort ganz entscheidend. Wer ab Mitternacht mit der Bahn ankommt, muss da durchgehen, weil keine Trams mehr fahren. Die soziale Sicherheit und das Funktionieren eines Parks hängt schon bei der Gestaltung von vielen kleinen Dingen ab. Das einzige, was wir dort nicht hingekriegt haben, ist das Licht, und da sieht man auch die Grenzen der Technologie.


APPELT: Gerade wenn man Menschen mit Licht führen möchte, braucht man ein verfeinertes technisches Angebot, um das gut zu machen. Dabei steht nicht mehr die Lampe im Vordergrund. Es ist das Licht, das einen führt, ohne sich groß aufzudrängen. Das Licht kann Leute führen oder ihnen Aufenthaltsräume schaffen, es bietet die Möglichkeit, in verschiedenster Weise zu agieren. Natürlich funktioniert das nur, wenn wir den Raum verstehen, bevor ein Lichtkonzept gemacht wird, ihn auch spüren und sowohl Licht- als auch Schattenbereiche integrieren.


VOGT: Ja, die Choreografie des Lichts ist entscheidend. Ich finde es natürlich schön, wenn ich geführt werde und es gar nicht spüre. Es ist wie eine Einladung: Ich kann diese Einladung annehmen oder ablehnen. Allerdings wird es sehr aufwändig, sobald man das spezifisch macht. Das lässt sich dann im Rahmen der traditionellen Lichtplanung nicht mehr rechtfertigen, sondern wird zur Kunstinstallation – was ich okay finde, aber es ist ein anderer Ansatz. Wenn man diese Qualität will, müssen wir entweder den Markt verändern oder wir entziehen das Lichtkonzept dieser sehr harten, sehr technologischen Betrachtung der klassischen Lichtplanung und zählen es zur Kunst.


APPELT: Ich denke, es wäre wichtig, dass Leute aus verschiedenen Disziplinen, die eine ähnliche Haltung vertreten, sich zusammentun und versuchen, entsprechende Lösungen zu finden.


VOGT: Wir arbeiten mit einem indischen Architekten, der sehr viel mit Künstlern und Handwerkern arbeitet. Das kommt aus der indischen Tradition. Ich habe ein Bürogebäude von ihm gesehen, bei dem er mit sechs, sieben Künstlern gearbeitet hat, die konkrete Aufgabenstellungen lösen mussten, wie z.B. die Tageslichtabschirmung und gefiltertes Licht. Also eine Kunstarbeit, die ein kleines Problem löst. Was mich schwer beeindruckt hat an dieser indischen Architektur, ist, dass alles viel weicher formuliert ist. Ich will ja keinen Streit vom Zaun brechen, aber wenn ein Künstler so ein Problem lösen muss, ist es nicht mehr ganz freie Kunst, sondern es geht dann in Richtung ...


APPELT: ... in Richtung Kunsthandwerk oder Design. Dazu fällt mir ein Beispiel aus den späten fünfziger Jahren ein. Der Architekt Werner Ruhnau hat für sein Theater in Gelsenkirchen Künstler eingeladen, dort während der Bauphase eine Zeitlang zu leben, um künstlerische Arbeiten für das Theater zu realisieren. Einer davon war Yves Klein, sein wohl größtes Schwammrelief ist in Gelsenkirchen entstanden. Werner Ruhnau hat mir erzählt, dass er mit den Künstlern auch alle möglichen baulichen Probleme diskutiert hat. Das konnten Details wie Türklinken sein, aber auch technische und räumliche Fragestellungen. Also wurden in interdisziplinärer Zusammenarbeit handwerkliche Lösungen für diese Problemstellungen gefunden.


VOGT: Eine andere Richtung wäre dann noch die rein funktionale, technologische Lösung. Es gibt kaum einen Bereich mit so einem Überangebot wie das Licht. In unserer Bibliothek ist bei den Produkten die Abteilung Leuchten und Beleuchtung mit Abstand die größte. Die Industrie bietet uns so viele Dinge an, für jede, wie sie denken, spezifische Situation. Das zeigt aber nichts anderes, als dass es Millionen von verschiedenen Situationen gibt. Es gibt eine Fülle von Produkten, die alle etwas besser können als andere, aber nichts wirklich gut. Entweder gehen wir mehr in die Kunstrichtung oder die Industrie bietet uns Halbfertigprodukte an, d.h. dass ich ein Werkzeug bekomme, das ich noch verändern und an die Situation anpassen kann. Wenn der Kunstansatz in einem Bereich zu teuer kommt, dann kann ich es wenigstens selber ein bisschen transformieren. Im Architekturbereich gibt es das für Innen, aber nicht für das Licht draußen. Das künstliche Licht ist ja eine unglaublich junge Disziplin.


APPELT: Ja, vor hundert Jahren war die Dunkelheit noch ganz selbstverständlich, auch in städtischen Bereichen.


VOGT: Wenn ich heute in eine schöne Kirche komme, ist mein erster Gedanke immer: Wie sah das ohne Kunstlicht aus? Wenn da 6000 Kerzen sind und 1000 Menschen, so ist diese atmosphärische Wärme beeindruckend. Wir vergessen ja, dass diese Gebäude letztlich für diese Art Beleuchtung und nicht für Kunstbeleuchtung gebaut wurden. Darum sieht man auch kaum eine Kirche, die schön ausgeleuchtet ist. Und im Außenraum gab es die Gasleuchten. Die senden unglaubliches Licht. Bei Duchamp hat mich immer fasziniert, woher sein Grün kommt. Es kommt von diesem Gaslicht; ein giftiges Grün, das ich unglaublich spannend finde. Aber in neun von zehn Fällen ist es unpassend, es einzusetzen. Wir haben es einmal mit Gaslicht versucht und dann gemerkt, da brauchen wir einen Künstler. Das war dann Olafur Eliasson. Es hätte dort perfekt gepasst, das Gebäude steht auf einem Hügel in einer Gletscherlandschaft, doch wir fanden es dann ökologisch zu bedenklich. So ein Projekt sollte man nicht alleine machen, da braucht es das Interdisziplinäre. Viele aus der klassischen planenden Zunft haben den Kunstanspruch bei der Lichtplanung, aber leider lösen sie ihn nicht ein. Ich sage nicht, dass Kunst besser ist, es ist einfach nicht der gleiche Beruf. Nicht nur, was die Werkzeuge betrifft, auch die Strategien des Entwerfens sind ganz anders. Wenn ich bemerke, jetzt geht es in eine Richtung, wo ich mich auf unsicherem Feld bewege, kann ich Interdisziplinarität einsetzen. Interessanterweise haben wir mit meinen Kollegen oder mit den Architekten hin und wieder Differenzen, aber nie mit der Kunst, bis heute nicht. Doch manchmal wollen die Künstler fast zu viel von mir. Sol LeWitt wollte einmal, dass ich seine Arbeit im Park verorte. Das hat mir ein paar schlaflose Nächte bereitet, denn ich sage zu meinen Studenten immer: "Ihr könnt doch nicht Sockel aufstellen, das ist seit Brancusi vorbei, der Künstler sucht sich seinen Ort selbst". Dann kommt einer und sagt, ich soll den Ort für seine Arbeit suchen. Das zeigt, wie sehr wir, ganz anders als in der Kunst, mit Dogmen leben. Ich habe natürlich intensiv daran gearbeitet, den richtigen Ort zu finden. Er fand es dann auch ganz toll, wie man die Skulptur dort wahrnimmt. Ich habe dabei viel gelernt, vor allem einen großen Respekt gegenüber anderen Disziplinen. Wir machen jetzt ein Projekt im Park, der auf die Rigi, dem Bergmassiv, das Turner gemalt hat, ausgerichtet ist. Die drei Bilder sind in der Tate, und es gibt diesen Text, in dem Turner sagt, er vermisse in der Schweiz die Dämmerung. Es hat mich lange beschäftigt, was er damit gemeint hat. Ich sehe eine Dämmerung und er sagt, da ist keine Dämmerung. Was mache ich jetzt damit? Dieses Zwischenlicht ist ja fast das Spannendste, und die Maler bringen es auf den Punkt. Es ist nicht so wichtig, was dargestellt ist, sondern die Stimmung des Lichts. In dem Park bei der Rigi wollte der Architekt Kandelaber-Leuchten aufstellen. Aber ich habe gesagt: "Nicht vor der Rigi! Da müssen wir, Turner in Ehren, mehr Respekt haben!"


APPELT: Licht in der Malerei ist ein spannendes Thema. Der Medien- und Kulturhistoriker Stephan Gregory hat mir kürzlich einen Text gesendet, in dem er Bezug nimmt auf eine Studie von Wolfgang Schöne, der über das Eigen- und Fremdlicht in der Malerei schreibt. Also Bilder, die wie selbst leuchten, und Bilder, die Licht abbilden.


VOGT: Eines meiner Lieblingsbilder von Frank Lloyd Wrights Architektur ist von einer seiner Villen im Mittleren Westen. Man riecht fast die Zigarren heraus aus diesem Bild mit den englischen Ledersesseln. Alles ist ein bisschen dunkel, aber es gibt etwa neun Lichtquellen, die man nicht sieht. Dieses schwere Kubazigarrenleder wird unterstützt durch das Licht, ohne dieses Licht würde ich nicht die Kubazigarren riechen. Es ist wie in einem Herrenklub, wo es ein bisschen nach Whisky riecht, diese Stimmung, und das sehe ich am Foto, ich rieche das im Foto. Das rieche ich nicht ohne Licht. Wenn das Licht ein ganz anderes Sinnesorgan angeregt, wird es fast olfaktorisch. Es klingt jetzt vielleicht übertrieben, dass ich die Zigarren rieche durch das Licht.


APPELT: Ganz im Gegenteil, gerade diese sehr feinen sinnlichen Wahrnehmungen machen eine Stimmung aus.


VOGT: Bei der Bildanalyse habe ich erst gesehen, wie das funktioniert. Es sind die Lichtquellen, ein Streiflicht an der Wand, ein knappes Licht an einem Sessel, die diese Atmosphäre schaffen. Niemand verfolgt diese Strategie wirklich. In Bregenz haben wir es fast geschafft …


APPELT: Mit Langsames Licht / Slow Light sind wir in dieser Richtung nun schon viel weiter. Auch damit, dafür ein Bewusstsein zu schaffen.


VOGT: Mir geht es auch darum, den jungen Leuten zu zeigen, was ich meine. Ein Kinderspielplatz und das Licht, das sind zwei Dinge, die hochdogmatisch ideologisch besetzt sind. Ein Kind, das fällt, kann man sich heute gar nicht mehr vorstellen. Ich frage meine Studenten immer: Wie seid ihr sozialisiert worden? Wenn ich gefallen bin und mich aufgeschürft habe, dann habe ich geweint und meine Mutter hat mich in den Arm genommen und getröstet, und ich hab natürlich ein bisschen länger geweint, damit sie mich noch festhält. Ich muss doch mal eine Schramme kriegen, ich muss mal weinen, ich muss mal spüren, dass, wenn etwas passiert, jemand da ist, der auf mich aufpasst. Nur so werde ich erwachsen. Ich brauche diese Erfahrung. Im Lichtbereich geht es auch um die Erfahrbarkeit von Stadt. Ein Architekt hat mir erzählt, dass er in der Stadt Zürich auf einem dunklen Weg überfallen worden ist und sich seither sofort unsicher fühlt, wenn nicht genügend Licht da ist. Ich habe diese Erfahrung noch nicht gemacht, aber wir haben einen englischen Mitarbeiter, der wurde auch überfallen und war drei Tage im Spital. Das erste, was er gesagt hat war: „Ich habe mit denen nicht geredet, es gab kein Gebrüll, nichts. Es war dunkel.“ Das finde ich schon spannend.


APPELT: Ich denke, es war wahrscheinlich der gesamte Bereich dunkel. Meine Erfahrung mit Licht hat gezeigt, dass man den Raum sehr einfach sichtbar machen kann, indem man bestimmte Lichtpunkte setzt. Man schaut dann durch den dunklen Raum zum nächsten helleren und hat ein Ziel. Die Überschaubarkeit des Raumes gibt Sicherheit. Ich vermute, dass es bei diesem Überfall komplett dunkel war.


VOGT: Ja, das war so in dem Fall. Ich kenne die Situation.


APPELT: Ich finde, es gibt sogar mehr Sicherheit, wenn man den Raum mit Licht- und Schattenräumen erkennbar macht, als wenn man ihn komplett hell macht, denn durch die gleichmäßige Helligkeit verliert man das Gefühl für den Raum und die Dimension des Raumes. Das Dahinter, das Dunkel wirkt dann umso bedrohlicher. So ein Licht kann einen auf unangenehme Weise körperlich umfassen. Wenn man sich genau konzentriert, spürt man das. Wenn man aber die Lichträume klar definiert, dann öffnen sich die Räume und sind überschaubar. Man fühlt sich leicht, geht gerne rein und geht gerne durch. Das nenne ich den sauberen Raum, das saubere Licht. Die vielen kleinen blendenden Lichtpunkte, die typisch für den städtischen Raum sind, machen den Raum dagegen sehr unordentlich und schaffen diese gefühlte körperliche Begrenzung.


VOGT: Mir macht in Zusammenhang mit der Sicherheit dieses Streben nach totaler Überwachung Sorgen. In London ist nächstes Jahr die Olympiade und wir machen dort alle Freiräume für das Athletendorf, in dem die 15.000 Sportler wohnen und wo nach der Olympiade normale Wohnsiedlungen sein werden. Diese Überwachung – man kennt das jetzt auch von den Unruhen in London. In London ist keine der wesentlichen City-Straßen ohne Komplettüberwachung. Es gibt Kameras, die sich der Bewegung der Leute anpassen, die näher ranzoomen und sich drehen. Und was heißt das? Diese Kameras funktionieren nur mit Licht. Dagegen ist ein schöner Nachtspaziergang in Venedig einfach dunkel. Wenn man auf dem dunklen Wasser die Spiegelung von einem Licht sieht, sich dem hingibt und nicht denkt, jetzt bin ich verloren, ist das wirklich schön. Es ist dunkel und zugleich ist Licht da. Man hat keine Angst, in eine Gasse zu gehen, denn es kommt auch privates Licht, von einer Wohnung beispielsweise. Nicht, dass ich glaube, dass das die Zukunft der Stadt ist, aber, wenn man einen Punkt hat, an dem man sich orientieren kann, dann kann man einfach dahinlaufen.


APPELT: Da hat man den sicheren Punkt im Visier.


VOGT: Genau. Früher, als ich noch Privatgärten gemacht habe, habe ich den Leuten immer gesagt: Ihr braucht ein bisschen Licht im Garten, sonst habt ihr das Phänomen der schwarzen Löcher. Wenn da kein Licht ist, ist es nachts bedrohlich in euren Wohnzimmern, weil jemand bis direkt vor die Scheibe kommen könnte und dann erst seht ihr ihn. Ihr müsst irgendeine Form von Licht hinten haben, ihr müsst diesen Zwischenraum definieren. Das ist wirklich schön. Aber die machen dann natürlich immer zu viel Licht, wenn sie abends essen oder eine Party geben...


APPELT: Mit solchen räumlichen Inszenierungen lassen sich malerische Situationen, Bilder, Bühnen schaffen. Wenn das gut und dezent gemacht ist, dann schaut man auf ein schön arrangiertes, dreidimensionales Ensemble mit Natur, Licht, Weg und allem anderen.


VOGT: Wichtig ist, dass nachts ein anderer Raum gezeigt wird als am Tag und das schafft man mit Licht.


APPELT: Kommen wir nochmals auf das Problem mit der Sicherheit zurück. Ich habe viel darüber recherchiert, auch gemeinsam mit der Berliner Soziologin Micha Christ. Klar geht es auch um Licht, um Lichtstärken, Lichtmengen usw. In unseren Köpfen ist definitiv drin: je mehr Licht, desto sicherer. Das ist unsere Sozialisation. Doch es geht auch um andere Dinge, um den allgemeinen Umgang mit dem Ort: Was passiert dort, wie ist das soziale Leben, wie werden die Leute vorbereitet für Veranstaltungen wie die Olympischen Spiele? Wie kümmert sich eine Gemeinde, eine Stadt um bestimmte Orte? Wenn nur viel Licht da ist, heißt es noch lange nicht, dass es sicher ist. Alles zusammen muss funktionieren. Wenn wir davon sprechen, mit Licht zu führen, Situationen anzubieten, in denen man sich gut und auch sicherer fühlt, dann kommen wir schon ein Stück weit weg von dieser totalen Überwachung.


VOGT: Während der Olympiade ist das Olympische Dorf einer der bestbewachten Orte, die wollen natürlich kein zweites München erleben. Zwei Monate später ist es ein normales Stadtquartier, auch was die Sicherheit angeht. Ein normales Stadtquartier in Ostlondon in der Nähe von Hackney und vorher zwei Monate lang eine Burg. Das ist die Idee der Gesellschaft als Gefängnis, fast wie Michel Foucault das beschrieben hat in seinem Text über die Heterotopien, die psychiatrische Klinik, das Gefängnis, das Bordell. Also ich denke, ich möchte nicht gern in dieser Reihe genannt werden. Mit den Überwachungskameras mag etwas Gutes gewollt sein, sie können aber auch etwas zerstören. Meine große Sorge ist, dass wir zwar da und dort unsere kleinen Projekte haben, aber der Rest einfach nach der Norm bearbeitet wird. Wir haben Mühe, gegen diese Normen zu kämpfen. Wir hatten schon mehrere Projekte, bei denen ich gesagt habe, ich akzeptiere das Beleuchtungskonzept nicht. Aber die Norm verlangt es und Schluss, Ende der Diskussion. Das Norm-Argument schlägt jedes Mal, ich habe keine Chance.


APPELT: Die Normen, das ist ein Punkt, den ich mit Langsames Licht / Slow Light hinterfragen möchte, denn die sind in den letzten Jahren konsequent nach oben korrigiert worden. Das dient in erster Linie wirtschaftlichen Interessen. Ich finde, die Normen alleine sind es nicht, es sind eben auch gesellschaftspolitische Fragestellungen, die gelöst werden müssen.


VOGT: Da haben wir kaum eine Chance. Auch unser Soziologe sieht in dieser Koppelung von städtischem Licht und den Kameras eine große Gefahr. Natürlich, sagt er, tut es ihm leid und es ist tragisch, wenn irgendwelche Kriminalfälle passieren, doch die Wirkung auf anderen Ebenen kann noch viel dramatischer sein. Wenn man beispielsweise nicht mehr darauf vertrauen kann, dass jemand zur Hilfe kommt, wenn man angegriffen wird. Das geht ja völlig verloren.


APPELT: Was bedeutet, dass wir uns durch die Anwesenheit der vielen Kameras nicht mehr verantwortlich fühlen für das Geschehen vor Ort, also weniger Bereitschaft zur Zivilcourage zeigen. Das ist ein interessanter Gedanke. Die Kameras als höhere Instanz …


VOGT: Diese Koppelung von Licht und Kameras verändert auch die Architektur. Der Architekt Meili, der das Stadion in Zürich geplant hat, hat mir mal gezeigt, wie die neuen Fussballstadien, Sportstadien im Wesentlichen durch das Licht bestimmt werden. Alles wird auf die Fernsehkameras abgestimmt. Da schauen dann 1,2 Milliarden zu und um das geht’s. Das künstliche Licht, das Flutlicht, bestimmt die Form dieser Stadien. Es ist wie in einer Unterhaltungsshow. In Amerika entdecken sie während der Spiele Fotomodels, das ist die neueste Mode. Die Mädchen zeigen sich halbnackt in den Stadien und die Kameras suchen ab, immer wenn das Match langweilig ist, werden die inszeniert. Sie spielen natürlich mit, denn sie werden an der Stadionleinwand groß projiziert. Da stellt sich nicht mehr die Frage nach Opfer und Täter. Das Interessante ist, dass es immer so viel mit Licht zu tun hat. Das wusste ich nicht. Meili sagt, es ist vor allem ein Problem der neuen Plasmabildschirme. Wenn dafür nicht die beste Qualität geliefert wird, sieht es schrecklich aus. Darum werden so viele Stadien jetzt neu gebaut, umgebaut. Aber das wird in der Architektur noch viel mehr Thema sein in Zukunft.

 

Günther Vogt, geboren 1957, liechtensteinischer Staatsangehöriger, zurzeit Inhaber von Vogt Landschaftsarchitekten AG in Zürich, ausserordentlicher Professor für Landschaftsarchitektur an der ETH Zürich.
Günther Vogt schloss 1987 das Studium der Landschaftsarchitektur

im Interkantonalen Technikum Rapperswil ab. Er ist heute einer der führenden Landschaftsarchitekten Europas und entwickelte sein Unternehmen zu einem wichtigen Kompetenznetz für die Fragen von Stadt- und Landschaftsraum. Arbeiten im In- und Ausland, so z.B. für die Masoala Regenwaldhalle in Zürich, das Swiss-Re Centre for Global Dialogue in Rüschlikon, die Stadt Berlin, die Tate Gallery of Modern Art in London und das neue Olympia-
gelände in München belegen seine hohe internationale Reputation.
Günther Vogt hat überdies eine breite theoretische Basis, die in mehreren Ausstellungen, Film- und Buchpubli-

kationen dokumentiert ist.