APPELT: Für mein Projekt Langsames Licht / Slow Light interessiert es mich, wie Sie als Architekt in ihrer Arbeit die Dunkelheit einsetzen, wie Sie in Ihren Gebäuden mit dunklen Räumen und auch mit Naturlicht umgehen. Zum Beispiel bei der Therme in Vals, dem Kolumba-Museum in Köln, dem Kunsthaus Bregenz oder der Bruder Klaus Kapelle, die ich leider immer noch nicht gesehen habe. Mir gefällt der Titel Ihres Buches „Wie viel Licht braucht der Mensch, um leben zu können, und wie viel Dunkelheit?“. Das ist ein wunderbarer Titel, weil er impliziert ja auch, dass die Menschen die Dunkelheit brauchen. Gehen Sie bei Ihren Gebäuden vom Naturlicht aus, von Licht und Schatten?


ZUMTHOR: Es ist eine schöne Vorstellung, dass die Häuser, die Räume erst dunkel sind und dann kann man Licht hineinlassen. Manche Materialien sind schön in einem ganz bestimmten Licht, wie hier in diesem Raum jetzt, wenn es einnachtet [dämmert].


APPELT: Ja, hier mit dem wenigen Licht wirkt der Raum angenehm, stimmungsvoll.


ZUMTHOR: Es gibt so eine schöne Tiefe. Das Stichwort ist vermutlich die Tiefe. Wenn man alles ausleuchtet und es dann plakativ wird, dann ist das vielleicht gut fürs Theater, um eine Aufführung zwölf Sitzreihen weiter hinten noch mitzubekommen. So ein Raum wie hier aber ist nicht zum Anschauen, er ist zum Drinsein. Ich mache schon vornehmlich Sachen zum Drinnensein, nicht zum Anschauen von weitem. Also muss ich nichts übersteigern. Aber Lichter setzen. In der Malerei gibt es ja den Ausdruck „Lichter setzen“, so ist das auch in der Architektur – Lichter setzen im Schatten. Für mich ist es zuerst dunkel. Nachher setzt man die Lichter. Und Dunkelheit ist eminent wichtig. Was hell ist und weiß, das ist ganz vorne präsent, und wenn etwas dunkel gemacht wird oder schwarz, dann geht es weg. Ich mache jetzt für die Handwerker im Bregenzerwald ein Werkraumhaus. Das besteht eigentlich nur aus einem riesigen Dach. Wir haben es als Modell gebaut und es ist genau so gewesen, wie ich es vermutet habe – wenn es aus Naturholz ist, dann erschlägt es einen fast in dem Saal. Das Dach ist sechs Meter über dem Boden, ein Riesending. Wenn es schwarz gemacht wird, dann passieren zwei Sachen: Es entmaterialisiert sich. Das würde auch beim Weiß passieren, wenn man es weiß streichen würde, aber beim Weiß bekommt es so eine Weiß-Präsenz, die sehr nahe bei einem ist und beim Schwarz geht es weg. Richtig bewusst erlebt habe ich das zum ersten Mal in der Alhambra in Cordoba. Dort habe ich zum ersten Mal gesehen, wie die schwarze Decke so zurückgetreten ist. Das schwarze Licht. Es ist ein Paradox, aber es gibt so etwas wie schwarze Tiefe, schwarzes Licht. Der barocke Himmel ist dann der gemalte Himmel. Für mich ist der immer ganz präsent, ich sehe nie weit, ich sehe einfach auf die Oberfläche der Malerei, doch es geht dann nicht weiter. Hingegen in der arabischen Architektur ist es wie so eine Art Holzgrill, ganz schwarz. Man schaut hinauf und hat das Gefühl, da kommt dann schon irgendwann einmal der Himmel.


APPELT: Im Kolumba Museum ist ein ganzer Raum schwarz. Decke, Wände und Boden sind schwarz. Man sieht keine Raumgrenzen mehr, die lösen sich auf. Nur die Vitrinen haben Licht, alles andere verschwindet im Dunkel.


ZUMTHOR: Das ist ein alter Trick. Den kennt jeder Juwelier (lacht). Mit dem muss man arbeiten, das ist ganz klar.


APPELT: Ich finde es wichtig, dass dieser schwarze Raum innerhalb eines gewissen Ablaufes verschiedener Raumeindrücke ist. Umso mehr wird der Raum dann hervorgehoben und umso mehr wird es zu einem besonderen Erlebnis, da hineinzugehen.


ZUMTHOR: Der Raum befindet sich genau über dem alten Turm der alten Kirche. Dort ist der alte Kirchenschatz von Kolumba versammelt. Deshalb die Abstraktion. Die Kirche selber gibt es ja nicht mehr. Es ist eine Art Herz vom Ganzen.


APPELT: Neben dem Ablauf der Räume mit verschiedenen Stimmungen ist auch ein Ablauf erkennbar wie das Licht funktioniert, sich ändert. Je weiter unten man sich im Gebäude befindet, desto dunkler, je höher man kommt, desto heller wird es. Weiter oben kommt dann mehr das Naturlicht. Das Naturlicht kommt immer von der Seite, das künstliche immer von oben, von der Decke. Und den Wechsel innerhalb des Hauses, in dem man gleichsam türlos von Raum zu Raum wechselt, von Raumatmosphäre zu Raumatmosphäre, fand ich bemerkenswert. Nicht nur das Licht, auch die Raumakustik und die Temperatur ändern sich, obwohl alle Räume offen ineinander übergehen. Sie sprechen in Ihren Texten davon, wie Stimmung oder Atmosphäre von vielen Dingen abhängen. Vom Licht, von Gerüchen, Geräuschen, Materialien und Erinnerungen, auch von Gesprächen und in den Räumen Erlebtem.


ZUMTHOR: Architektur hat alle diese Eigenschaften. Sie hat einen Klang, eine spezifische Akustik, einen Eigenklang. Angeregt durch Wind oder so. Und dann die verschiedenen Materialien, die Licht oder Schatten brauchen. Oder die im Licht oder im Schatten auch anders aussehen. Aber sie wirken eben erst im Licht. In der Dunkelheit wirkt das nicht. In der Dunkelheit wirkt ein Teil von etwas Größerem. Es ist immer eine ganze Umgebung da. Es ist auch immer ein Licht da, aber Licht, das ist eine riesige Geschichte. Licht und Dunkelheit sind wahrscheinlich die größte physikalische Dimension von Architektur – das Licht ist so umfassend und es kommt von so weit her und es ist so stark und so schwach. Der Unterschied zwischen der glimmenden Drahtbirne einer Taschenlampe und der Sonne mit 100.000 Lux ist enorm. Man hat manchmal das Gefühl, man müsse sich schützen vor der Sonne. Je weiter südlicher man geht, umso mehr müsse man das Licht modulieren und vom Licht weg in den Schatten und das Licht weit weg von einem. Bei uns ist es dann wieder umgekehrt. Das Licht kann etwas Gnadenloses haben. Und Dunkelheit kann Angst machen. Zwischen diesen zwei Polen muss man arbeiten. Es muss immer stimmen für das was ich mache. Es ist hell, dann wird es wieder dunkel. Im Rhythmus von den Räumen gibt es einen schönen Schnuf [ein Atmen]. Wegen der Hierarchie. Das führt. Es ist schön, oben im Kolumba ins Licht zu gehen. Das ist extra so gemacht. Unten hat man das Naturlicht, Straßenlicht, Hoflicht und nachher wird es abgedunkelt, da haben wir ein ganzes Geschoss mit Kunstlicht. Da gibt es kein Naturlicht. Und es wird ganz dunkel bei der schwarzen Schatzkammer, die gleichsam keine Wand mehr hat und keine Decke, sondern nur noch die Objekte und das Glas. Nachher ist der Moment, wo man die lange, lange Stiege hinaufgeht und oben steht die Madonna im Licht, im Tageslicht. Das ist für mich ein toller Moment, wenn die lächelnde Madonna da im Licht steht, im Seitenlicht. Man bleibt für einen Moment dort. Es sind immer die Stirnwände, auf die man zugeht, die ins Licht gesetzt sind. Zuerst kommt das Licht auf der Wand und erst danach kommt die Aussicht, die zur Öffnung gehört.


Das Thermalbad in Vals geht aus dem Berg von der Dunkelheit ans Licht. Das ist im Zulauf lateral. Auf der einen Seite, der Bergseite, kommt man rein, im Dunkeln und die ganze Zirkulation öffnet sich dann zum Tal mit 30 Öffnungen. Die Wegeführung, das Erlebnis vom Weg, vom Rhythmus vom Weg hat sehr viel zu tun mit dem Setzen von Licht und Schatten. Das ist eigentlich immer ein Thema. So macht man das. Das ist vielleicht das Wichtigste. Dass es „schnuft“ [atmet].
APPELT: Die Umkleideräume in Vals sind dunkel, ohne Tageslicht, schwarz und nur mit Kunstlicht beleuchtet.


ZUMTHOR: Ja, da ist man noch im Berg. Man kommt aus der Höhle, aus dem Berg und dann wird es offener und offener.


APPELT: Beim Kunstlicht im Kolumba Museum haben Sie einen Unterschied zwischen den Gangsituationen und den Ausstellungssituationen gemacht. Es sind unterschiedliche Lichtqualitäten, wie Lichtfarbe, Lichtstreuung und so. Obwohl die Räume offen sind und ineinander übergehen, zeigt das Licht deutlich die verschiedenen Funktionen und Bereiche.


ZUMTHOR: Spürt man das gut, ja? Sie sind ein wenig anders materialisiert, vor allem am Boden. Die Zirkulation ist wichtig. Es ist ein Rundlauf, der unten beim Eingang anfängt und in einer großen richtigen Schlaufe das ganze Gebäude nach oben geht. Es mäandriert. Daran angelagert sind klassische rechteckige Räume. Das ist eigentlich das Prinzip. Es sind immer offene Räume. Die haben dann andere Böden und anderes Licht. Die Kabinette sind verschieden, bewusst anders. Sie haben sogar die berühmte Stolperschwelle.


APPELT: Ist schon etwas passiert? Also ich musste mich auch erst daran gewöhnen.


ZUMTHOR: Die Leute sind es nicht mehr gewöhnt. Früher sind sie noch auf dem Land aufgewachsen, voller Schwellen und so. Und heute sind es Städter, die wachsen auf im Supermarkt. Dort hat es nirgendwo mehr Schwellen. Die schauen nicht mehr auf den Boden. Eine Kultur wie hier in einem Dorf, wo alles auf und ab geht, das gibt es gar nicht mehr für die Städter. Deswegen ist die Schwelle im Kolumba so ungewohnt.


APPELT: Dieser Drang nach der übersicheren Umgebung erinnert mich an die vielen Normenvorschriften beim Licht. Die machen es einem ja nicht unbedingt einfach, mit Licht und Schatten und Dunkelheit schöne Räume zu gestalten. Bei Ihrem Pavillon im Park bei der Serpentine Gallery geht man erst durch dunkle Gänge, bevor man ins Innere des Pavillons kommt. Man wird sozusagen vorbereitet auf das Innere des Pavillons.


ZUMTHOR: Das ist die Vorbereitung für die Pflanzen. Eine schöne, ruhige Stimmung war in dem Garten. Das hat den Leuten gefallen. Viele waren dort und sind immer wieder gekommen. Es gab sogar einen Besucherrekord. Es ist an sich schon ein Park, der Hyde Park, in dem der Pavillon steht, und wenn man dann in den Pavillon kommt, sieht man den Garten, dann sieht man zuerst einmal einen anderen Maßstab. Das ist wie wenn man den Garten mit einem Vergrößerungsglas anschaut. Man war vorher schon in einem Garten, aber das ist ein Park, und dann nimmt man den Garten im Pavillon in einem anderen Maßstab wahr. Man könnte zunächst denken, es wäre ein dumme Idee, im Hyde Park einen Garten zu machen. Irgendwo hat ein Architekturjournalist geschrieben, dass es eine dumme Idee ist. So als hätte ich den englischen Garten nicht verstanden. Aber wenn man dort war, hat man gesehen, wie gut es aufgeht. Dass man wie in einen Klostergarten hineinkommt, einen geschlossenen Raum und dann plötzlich ganz nah an den Pflanzen ist. Das war die Idee. Die Pflanzen haben die Mitte eingenommen. Man konnte nur drum herum sein. Es war ein ganzes Gebäude, aber eigentlich konnte man nur um die Pflanzen herum sitzen oder stehen. Die Mitte war reserviert für die Pflanzen. Es hat keinen Weg quer durch gegeben. Das hat super funktioniert. Die Leute haben es ganz spontan verstanden und sind da gesessen und anscheinend immer wieder gekommen, um drinnen zu lesen oder sich zu unterhalten.


APPELT: Dient der dunkle Gang auch dazu, dass man wegkommt, runter kommt vom Alltagsstress, bevor man in den Garten gelangt?


ZUMTHOR: Eine Zone des Übergangs. Es hatte so einen versetzen Eingang. Man kommt rein, macht ein paar Schritte und dann kommt man in den Garten. Es braucht gar nicht einmal so viel, um diesen Übergang zu machen.


APPELT: Wie ist es mit der Dunkelheit in der Bruder Klaus Kapelle? Ich war leider noch nicht dort, stelle es mir aber aufgrund der Bilder, die ich gesehen habe, sehr intim vor, wenn man da hineinkommt und mit sich alleine drinnen ist. Da ist der Weg dorthin übers Feld im vielen Tageslicht und dann in der Kirche ist es dunkel. Nur ein wenig Licht kommt durch die Öffnung von oben.


ZUMTHOR: Da gibt es sehr viele Leute, die total berührt sind und erschüttert. Ich würde sagen, das ist der unglaublichste Raum. Es ist ein ganz kleiner Raum. Ich glaube er hat etwas sehr Existentielles. Er ist gegen oben hin offen. Er ist dunkel, zunächst fast schwarz. Die Augen gewöhnen sich dann langsam, aber es ist eigentlich ein dunkler Raum. Man sieht die Lichter an der Wand, die durch Löcher durchkommen und ganz weit oben das Loch zum Himmel.


APPELT: In Ihren Texten zitieren sie auch aus dem Buch „Lob des Schattens“ von Tanizaki Junichiro. Einmal sprechen Sie von einem  japanischen Haus, das innen sehr dämmrig ist, wo nur ein leichter Schimmer irgendwo reinkommt, was dem Raum diese Tiefe gibt, die Sie schon am Beginn unseres Gesprächs erwähnt haben. Und von den Materialien, die alle ganz unterschiedlich auf Licht reagieren. Ich glaube, an diesem Punkt kommt auch Zeit mit ins Spiel, das Sich-drauf-Einlassen. Es braucht Zeit, um so feine Dinge überhaupt wahrzunehmen. Auch eine Bereitschaft dazu. Bei Tanizaki Junichiro ist beides gegeben. Doch in unserer Gesellschaft sehe ich weniger Tendenzen in diese Richtung, weil wir so übergestresst sind. Wenn man absieht von den vielen Lichtspektakeln, die überall stattfinden, könnte man mit wesentlich weniger auch viel erreichen. Nur, wenn wir so etwas anstreben, brauchen wir innerhalb der Bevölkerung eine Bereitschaft dazu, das auch mitzutragen. Nämlich diese Art der Wahrnehmung und diese Langsamkeit. Haben wir überhaupt eine Chance, in so eine Richtung zu gehen?


ZUMTHOR: Was ich beobachte ist, dass die Leute im Durchschnitt relativ unsensibel sind auf eine räumliche architektonische Atmosphäre mit Licht und Schatten oder mit Geräuschen. Das heißt, sie sind zufrieden mit lärmigen Räumen, in denen ständig das Radio läuft mit irgendeinem doofen Musikprogramm und mit 17 Kühltruhen oder was auch immer, die Lärm machen. Und sie merken es nicht einmal. Dann ist noch das Licht schrecklich und alles ist schrecklich. Häufig frage ich in einem Restaurant, würde es Ihnen etwas ausmachen, die Musik abzustellen. Manchmal geht es dann nicht, weil Musik zum Konzept gehört. Irgendeiner hat da alles gemacht und die Musik gehört dann zum Konzept. Ich denke oft, wie haltet Ihr das aus, es ist so schrecklich.

Andererseits sagen Leute, die meine Räume erleben – nicht alle, aber viele Leute, die die Räume erleben – das ist so schön, das gefällt mir, ich komme immer wieder. Die Empfindung ist also nicht ausgestorben. Die Sensibilisierung gibt es, doch sie ist dünn gesät. Es ist eigentlich ein wenig eine kulturelle Frage. Die akademischen oder künstlerischen Leute sind in der Regel eher näher daran, so etwas zu empfinden. Frauen sind generell eher näher als Männer,  unabhängig von der Ausbildung oder Bildung. Vielleicht ist das immer so gewesen, dass eine große Mehrheit nichts mit solchen Sachen anfangen konnte. Dass es ein Privileg gewesen ist einer gewissen geschmacklichen Bildung und einem gewissen Hinschauen und sich Kümmern. Das könnte schon sein. Was ich ab und zu beobachte ist, dass es in den Volkskulturen ein ästhetisches Gefühl gibt. Im Bregenzerwald z.B. ziehen die Frauen ihre Trachten an, wenn sie ein Fest machen. Und sie möchten auch ein schönes Fest machen. Es ist also nicht nur eine Bildungsfrage. Sehr wahrscheinlich gibt es gewisse ästhetische Anlässe auch in Diskos mit neuer Unterhaltungsmusik oder in Bars. Und dann gibt es das Stumpfe der Alltagskultur, die ja häufig sehr stumpf ist. Ich könnte nicht sagen, ob das früher besser war. Vermutlich eher nicht. Vermutlich ist es immer ein wenig ein Privileg gewesen, das aber nicht nur in der gebildeten Schicht auftaucht, das merke ich jetzt, wenn ich davon erzähle. Etwa bei der Gestaltung von Hochzeiten bemüht man sich um eine sehr schöne Form. Und das ist nahe bei mir, wenn ich versuche ein gutes Haus zu machen, finde ich.

Was ich immer sehr gern gehabt habe und was mir wichtig war, als ich noch unterrichtet habe, war, dass die Präsentationen der Studenten Feste sind. Mit Musik und Tanz. Die Präsentation ist etwas Festliches und das geht dann nahtlos in ein großes Fest über. Es waren Feste mit einer nahen Verbindung zum ästhetischen Empfinden und Erleben von Räumen. Sich wohl fühlen an einem Ort. Wir haben gesagt, Architektur hat mit dem Leben zu tun, da machen wir jetzt ein Fest. Dann gibt es Präsentationen, und es gibt Champagner und das und jenes und die Studenten mussten das Fest als Semesterarbeit gestalten. Also eine konkrete Installation machen, mit Licht und Musik und allem zusammen, wie man angezogen ist usw. Am schönsten war es im ersten Jahr in Mendrisio. Das war das Gründungjahr der Uni mit lauter Erstsemestrigen. Wir haben da viele vorarchitektonische, aber sehr erlebnisbezogene Arbeiten gemacht. Das waren starke Erlebnisse, super Arbeiten. Man kann allem eine Form geben. Architektur ist eine Form. Man kann auch einer Hochzeit eine Form geben. Das ist sehr schön. Auch als unsere Tochter geheiratet hat, haben wir dem eine Form geben. Es ist würdevoll, wenn etwas eine Form hat. Das wissen die Kirchen am besten. Die spielen damit und arbeiten damit. Aber es muss ja nicht unbedingt in der Kirche sein. Das direkte Atmosphärische existiert. Es existiert auch in der Jugendkultur. Wenn Sie in die In-Clubs in Wien gehen, dort bin ich sicher findet man starke Stilisierungen und ein Formbewusstsein. Da ist kein Unterschied. Dort finden sie die gleiche Sensibilität wie in der Architektur – etwas in eine Form geben und es so und so zu sehen. In der Anschauung der Dinge gibt das eigentlich keinen Unterschied.


APPELT: Vorausgesetzt ich bin bereit, mich auf die jeweiligen Gegebenheiten einzulassen. Im Kolumba Museum gibt es zur Zeit einen Raum mit Arbeiten von John Cage. Das ist einer dieser Räume ohne Fenster, mit einem eher schummrigen Licht - was eigentlich ein Unlicht für so ein Museum ist. Die Arbeiten treten in den Hintergrund, doch der Raum als Raumeindruck inmitten der anderen Raumeindrücke funktioniert sehr gut und ermöglicht mir, die Arbeiten auf andere Weise zu erfahren als ich es gewohnt bin, sofern ich mich drauf einlasse.


ZUMTHOR: Das sind kleine Kunstlichtkabinette, in denen sehr ausgewählte Sachen präsentiert werden. Nach gewissen Regeln kommen die vor. Das ist eine Möglichkeit für die Kuratoren, gewisse Sachen zu machen, wo nachher wieder der große Raum mit Naturlicht kommt. In so einem Kunstlichtkabinett sind auch meine Skizzen vom Kolumba ausgestellt.


APPELT: Erstaunlich für mich war beim Kolumba Museum, dass man eben nicht die durchwegs perfekt ausgeleuchteten Räume oder Bilder präsentiert bekommt, sondern dass man sich an bestimmte Situationen erst anpassen muss und durch diesen Anpassungs- oder auch Lernprozess hat man dann einen viel spezielleren Zugang dazu. Ich bin zuerst unten durch die Ausgrabungen durch und habe mich gewundert, dass da an den Wänden mit den vielen Tafeln überhaupt kein Licht ist, sondern das ganze Licht geht von oben nach unten (auf die Ausgrabungen). Es ist Kunstlicht und von der Wand kommt dann der Schimmer des Außenlichts durch. Später, als ich einmal durch das ganze Haus durch war, war mir klar, warum es schon sehr passt, dass da kein Kunstlicht an den Wänden bei den Tafeln ist. Also habe ich einen Lernprozess durchgemacht, indem ich einmal hinauf und wieder hinunter gegangen bin, mir die Zeit genommen und mich drauf eingelassen habe. Danach war alles sehr vertraut und nachvollziehbar. Auch die Jäger aus San Bernardino, von denen Sie in einem Ihrer Texte erzählen, machen einen Prozess durch. Sie waren zwei Tage im Wald. Bei ihrer Rückkehr ins Dorf nehmen sie das künstliche Licht als „Lichtverschmutzung“ wahr. Sie haben in den paar Tagen im Wald eine Art Anpassungsprozess durchgemacht. Wobei ich glaube, dass der Umkehrprozess wieder hin zum vielen Licht genauso stattfindet, dass sie sich sehr schnell wieder an das viele Licht gewöhnen.


ZUMTHOR: Man muss die Leute immer ein wenig einstimmen, man muss ein wenig runterkommen, andere Sichtweisen entwickeln und es ist schön, wenn man das in Gang setzen kann. Das mache ich bei den meisten Häusern. Irgendwie die Aufmerksamkeit, die Achtsamkeit hervorbringen. Dass man nicht so hineintrampelt, sondern achtsam wird.

Peter Zumthor, geboren 1943 in Basel, Ausbildung zum Möbelschreiner in der Werkstatt seines Vaters sowie zum Gestalter und Architekten an der Kunstgewerbeschule Basel und am Pratt Institute, New York. Seit 1979 eigenes Architekturbüro in Haldenstein, Graubünden.

Wichtigste Bauten:
Schutzbauten für Ausgrabung mit römischen Funden, Chur, 1986;
Kapelle Sogn Benedetg, Sumvitg, 1988; Wohnhaus Truog, Gugalun,
Versam, 1994;
Therme Vals, 1996;
Kunsthaus Bregenz, 1997;
Klangkörper Schweiz, Schweizer Pavillon Expo 2000, Hannover, 2000; Kolumba Kunstmuseum, Köln, 2007; Feldkapelle Bruder Klaus, Wachendorf, Eifel, 2007;
Steilneset, Memorial for the Victims of the Witch Trials in the Finnmark, Vardø, Norwegen, 2011;
Serpentine Gallery Pavilion, London, England, 2011